Ich habe lange überlegt, ob ich zu den Plagiatsvorwürfen bzgl. der Dissertation von Karl-Theodor hin und weg Guttenberg etwas schreiben soll. Mein täglich Brot, sprich meine Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der größten deutschen Universität und in diesem Zusammenhang die Betreuung von Studierenden, hat mich doch zu einem Kommentar bewogen.
Die Causa Guttenberg hat zunächst einmal drei Dimensionen, die eigentlich streng voneinander getrennt werden sollten: eine politische, eine rechtliche und eine wissenschaftliche.
Recht entspannt ist die politische Frage. Ein politisches Amt steht und fällt nicht mit einem wissenschaftlichen Titel. Ob Guttenberg seine politische Karriere an den Nagel hängen wird, ist eine Frage, die ganz unabhängig von der wissenschaftlichen Beurteilung erfolgen sollte. Hier geht es allenfalls darum, ob Theo mit dem Makel eines Plagiats selber ein politisches Amt ausfüllen kann und ob er dies noch darf. Dies muss(!) ganz unabhängig davon geschehen, wie die Uni Bayreuth zu einem Urteil kommt. Der politische Schaden hat nichts damit zu tun, ob er aus wissenschaftlicher Sicht seinen Doktorhut behalten darf oder nicht.
Eine Frau Käßmann hätte nach ihrer Alkoholfahrt nicht zurücktreten müssen. Viele haben diesen bedauert, obwohl sie keine Bagatelle begangen hatte. Allerdings konnte bspw. ein Vorbestrafter trotz seiner Verurteilung Vorsitzender einer damals nicht unbedeutenden Partei werden. Und Guttenbergs Vorbild durfte trotz eines - meines Erachtens - wesentlich schwerwiegenderen Vergehens Ministerpräsident des Freiherrn Freistaats werden. Es sind also schon Personen wegen wesentlich geringerer "Vergehen" zurückgetreten (damit meine ich nicht Frau Käßmann) und viele haben trotz wesentlich schwererer ihre politische Karriere fortgesetzt.
Das die Plagiatsaffäre Spuren hinterlassen wird, ist wahrscheinlich. Immerhin reagiert unser Sonnenkönig mittlerweile recht dünnhäutig und erste Kratzer im Goldlack sind erkennbar. Über vieles wächst allerdings auch Gras und ob in einem halben Jahr noch ein Hahn danach kräht, hängt mit Sicherheit nicht vom Bayreuther Urteilsspruch ab.
Daneben gibt es natürlich noch die Frage, ob KT sich eines Meineids schuldig gemacht hat (was offenbar nicht der Fall ist, da in Bayreuth keine eidesstattliche Versicherung nötig ist). Auch urheberrechtliche Ansprüche könnten auf ihn zukommen. Und zu guter Letzt bleibt noch die Frage - und hier gibt es auch eine Überschneidung mit der politischen Dimension -, ob Theo sich des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht hat, da er den wissenschaftlichen Dienst für private Belange - seine Dissertation - zweckentfremdet haben könnte. Regressansprüche des Verlages und der gutgläubigen Käufer wären darüber hinaus auch zu prüfen.
Für mich interessanter - wie eingangs erwähnt - ist jedoch die wissenschaftliche Dimension. Dabei möchte ich hier gar nicht urteilen, ob Guttenbergs Dissertation ein Plagiat ist und ob ihm deswegen der Doktortitel aberkannt werden müsste. Das steht mir aufgrund meiner Position gar nicht zu und ich bin fachlich auch nicht in der Lage dies zu beurteilen. Außerdem müsste ich dafür die Schwarte auch gelesen haben.
Ich habe bisher zahlreiche Seminar- und Abschlussarbeiten betreut. Und werde aller Voraussicht nach auch noch einige betreuen. Dabei habe ich auch schon einige wegen Plagiats durchfallen lassen (auch von (angehenden) Doktoren!). Die Ausreden kommen mir guttenbergisch bekannt vor. Was soll ich nun aber einer/einem antworten, der auf mein Urteil entgegnet, dass es doch "nur" ein kleiner Teil ist und auch nur eine Seminararbeit, beim Guttenberg war es immerhin eine Diss? Soll ich sie/ihn fragen "heißt Du auch Guttenberg?"
Nach jedem Seminar predigen wir unseren Studierenden, dass sie sauber wissenschaftlich arbeiten sollen und müssen. Dazu gehört auch die Zitate sauber zu kennzeichnen. Eine direkte Übernahme mit einem "vgl. auch" zu markieren, ist eben keine saubere wissenschaftliche Zitierweise, Sollten die Stellen stimmen, die im Guttenplag-Wiki aufgelistet wurden, so kann ich zumindest sagen, dass bei mir kein Studierender damit durchgekommen wäre (wenn ich es denn entdeckt hätte).
Wie gesagt, die Ausreden sind immer die gleichen. Bei über tausend Fußnoten, da kann doch mal das eine oder andere daneben gehen (vgl. hierzu auch die Ausführungen bei Anatol Stefanowitsch im Sprachlog). Das eine oder das zweite vielleicht ja. In dieser Häufung jedoch nicht. Streng genommen ist sogar bereits eine nicht korrekt zitierte Stelle ein Plagiat, da helfen alle Relativierungen nichts. (Es kommt dann eher darauf an, wie "schwerwiegend" das Plagiat ist.)
Die Dimension ist darüber hinaus noch gar nicht sicher. "Bei über tausend Fußnoten!" Nicht jede Fußnote ist ein Literaturbeleg und einige Literaturbelege sind erst aufgrund des Plagiats entstanden. Und so schrumpfen die "über tausend Fußnoten" langsam aber sicher zusammen. Nehmen wir noch einmal die Guttenplag-Fundstückchen: Geht man (nur) von vor kurzem etwa 80 Stellen aus (aktuell sind es überdimensional mehr; Update: visualisierte Übersicht), so beträgt der Plagiatsanteil (bei 450 Seiten) bereits gut 10%. Oder in Guttenberg-Sprech bereits über 100 Fußnoten (immer vorausgesetzt, es handelt sich bei allem wirklich um ein Plagiat).
Auch wenn KT alle Stellen zumindest mit einem "vgl." kenntlich gemacht hätte, wäre dies bei wörtlichen Übernahmen (nicht nur) wissenschaftlich nicht korrekt. Ein wörtliches Zitat ist kein vgl. Ich habe bspw. sogar eine Diplomarbeit durchrasseln lassen, bei der über 50% direkte Zitate enthalten waren, die allerdings nicht durch "Gänsefüße" sondern nur durch ein "vgl." kenntlich gemacht wurden. Es handelte sich hierbei zwar - im Guttenberg-Sprech - um eine eigene Leistung, jedoch um keine ausreichende Eigenleistung mehr.
Ebenfalls beliebt ist das Satzbauschütteln und hier und da mal ein Wort zu ändern. Damit ist es dann ja kein direktes Zitat mehr und man kann das dann ja mit einem "vgl." garnieren. Weit gefehlt. Diese engen Übernahmen sind noch keine sinngemäßen - in eigenen Worten! - Wiedergaben der Quelle. Komplett daneben ist dann die Garnierung mit einem "vgl. auch".
Richtig verarscht komme ich mir allerdings vor, wenn plump aus dem Internet rauskopiert wird. Das weckt in mir den Jäger und Sammler. Sollten die gefundenen Stellen in Guttenbergs Dissertation wirklich stimmen, so ist dies an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Ein Versehen kann dann - auch aufgrund der Vielzahl - jedoch nicht mehr glaubhaft vermittelt werden.
Im übrigen ist es auch nicht damit getan eine korrigierte Version nachzureichen. Auch das sage ich jedesmal meinen Studierenden. Eine Seminar- oder Abschlussarbeit ist kein Ping-Pong-Spiel. "Oh, shit, da hat er mich wohl erwischt, gut dann besser ich die gefundenen Stellen mal aus..." Fast schon lächerlich ist ja die Ankündigung, die Fehler in einer Neuauflage zu beheben. Dissertationen sind i.d.R. keine Bestseller. Ein Großteil der Auflage wird von Bibliotheken gekauft, wo die Exemplare dann meist auch verstauben. Privatpersonen (und Wissenschaftler) kaufen sich die (i.d.R.) sehr teuren Schmöker nicht. Das ist zwar bitter (und für viele (auch zukünftige) Promovierte deprimierend), aber nicht zu ändern. (Mit einer veröffentlichten Dissertation erntet man allenfalls Ruhm und Ehre, reich wird man kaum.) Zweitauflagen gibt es nahezu nie. Darüber hinaus stehen in vielen Bücherregalen nun aber - immer vorausgesetzt an den Anschuldigungen bleibt genügend stichhaltiges haften - nicht mehr zitierbare Exemplare der Guttenbergschen Erstauflage. Da hilft eine Neuauflage auch nicht weiter. Die 80 Euro sind verbrannt.
Korrekt zitiert wird aus wissenschaftlicher Ehrlichkeit. Man schmückt sich nicht mit fremden Gedankengut und gibt diese als eigene Ergüsse aus. Der wahre Urheber hat mitunter ebenso lange (oder länger) für das Produkt gebraucht, wie der Plagiator. (Bei vielen der guttenbergschen populärwissenschaftlichen Zitate ist allerdings offenbar nicht von einer so aufwendigen Entstehungsgeschichte auszugehen. Was allerdings nicht von der Zitatpflicht entbindet.) Und Wissenschaftler leben von Zitaten! Zitiert zu werden ist der eigentliche Lohn eines Wissenschaftlers. Für ein nichtreferenziertes Werk bekommt niemand einen Nobelpreis. Man bleibt weitestgehend unbekannt in der wissenschaftliche Diskussion, wenn die eigenen Thesen nicht zitiert werden. Man wird im wahrsten Sinn des Wortes totgeschwiegen. Auch deshalb gehört es sich anständig zu zitieren und nicht fremde Gedanken - auch oder erst recht nicht mit einem vgl. auch - ala eigen zu deklarieren.
Nur wie sage ich das nun meinen Studierenden? Alles was ich oben bemängelte hat Guttenberg anscheinend in seiner Arbeit ausgiebig untergebracht. Kann es für so etwas noch eine 1,0 geben? Ein summa cum laude?
PS: Ich möchte noch etwas anmerken, das in der Diskussion um Guttenplag genannt wird. Ein Doktortitel wird nicht nur primär für die Karriere in der Wissenschaft erzielt. Er ist nicht nur für den wissenschaftlichen Werdegang maßgeblich und für den Rest nur Blendwerk. Er ist - wie seine direkten Vorgänger Abitur und Diplom/Bachelor/Master - ein Signal. Ein Signal, dass man - in bestimmten Bereichen - qualifizierter ist. Das Signal selber muss dabei nichts mit der zu übermittelnden Aussage zu tun haben, es muss nur nicht oder zu teuer immitierbar sein.
PPS: Was die Affäre für diejenigen bedeutet, die sich gerade (ehrlich) durch eine Promotion quälen habe ich natürlich hier nichts gesagt. Sieben Jahre - neben Beruf - sind übrigens für eine Diss. recht sportlich. Ebenso steht durch solche und andere Affären auch der Ruf und Status einer Promotion arg unter Beschuss...
Update, 20.02.2011: RA Thomas Stadler beleucht die Urheberrechtsverletzung (und die Leitlinien der Bundesregierung in der Urheberrechtsdebatte).
Andi Popp schießt sich auch auf die Copyrightdebatte ein, beleuchtet diese allerdings aus Sicht der Piratenpartei. Dabei erläutert er den feinen Unterschied zwischen einem Plagiat und dem von der Piratenpartei geforderten Recht auf Privatkopie sowie das Filesharing.
Update, 21.02.2011: Mandy Schiefner weist aus gegebenen Anlass auf einen zufällig zur passenden Zeit erschienenen Artikel (pdf) von ihr hin. Dabei greift sie auch eine Verantwortung der Hochschullehrer (und des wiss. Mittelbaus) gegenüber den Studierenden auf:
Universitätslehrer tragen auch für die wissenschaftliche Arbeit der Studierenden Verantwortung. Sie haben daher den Studierenden früh- zeitig die Grundsätze wissenschaftlicher Arbeit vorzuleben und zu vermitteln. Sie haben Sorge dafür zu tragen, dass der wissenschaftliche Nachwuchs die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis lernt. Studierende und wissenschaftlicher Nachwuchs sind für das Erkennen wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu sensibilisieren. (Deutscher Hochschulverband 2000)