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Von Hartz IV zu Uschi V [Update #4]

Fünf Euro wird es nun mehr geben für die Hartz IV-Empfänger. Von Verhöhnung und Zynismus sprechen die einen. Das Lohnabstandsgebot muss gewahrt bleiben, sagen die anderen. Politik nach Kassenlage vs. Berücksichtigung der Steuerzahler. Dabei gehen alle diese Argumente Meinungen am Thema vorbei (übrigens nicht nur von Politikern sondern auch in den Kommentaren in den Medien). Sie sind schlicht irrelevant. Wenn(!) die Bedarfsrechnung nur eine Erhöhung von fünf Euro ergeben hat, dann gibt es eben nur fünf Euro mehr. Ob man das schäbig findet oder nicht. Hier geht es um das Existenzminimum, da hat die Kassenlage, das Lohnabstandsgebot und die Lage der Steuerzahler nichts zu suchen. Wenn es da nach ginge, müsste der Hartz IV-Satz bei 100 Euro liegen.

Das Bundesverfassungsgericht hat eine transparente Berechnung des Sozialhilfesatzes angemahnt. Und damit auch eine schallende Ohrfeige an Rot-Grün verteilt, die jetzt über die 5 Euro schäumen, den Willkürbetrag aber selber eingeführt hatten. Eine transparente und v.a. nicht willkürliche Berechnung kann man aber auch bei Uschi V nicht erkennen. Es macht in der Tat den Anschein einer Berechnung nach Kassenlage. Mehr als 5 Euro Erhöhung waren nicht drin, jetzt müssen nur noch die Statistiken passend gemacht werden. (Update: Ursulas Unschärferelation. Gab es Tricksereien bei der Berechnung? Die Zahlenwerke ergeben drei unterschiedliche Uschi V-Sätze. Nachtrag: Alles "nur" ein Übertragungsfehler.)

Problem 1: Es wird nicht der Bedarf berechnet, sondern die Ausgaben des Status quo der unteren 20%. Müssten die mit 200 Euro auskommen und würden gerade so nicht sterben (überleben, nicht leben ist hier gemeint), so würden wir den Bedarf aus diesen 200 Euro berechnen. Nur weil ein Thilo S. mit einem Euro fuffzig oder eine Kate M. mit 70 Cent am Tag für Essen auskommen, bedeutet dies nicht, dass der Bedarf bei eben jenen Summen liegt. Solange zumindest nicht alle Hartz IVer magersüchtig sind. Warum Mietgeld zahlen? Ein Obdachloser kommt schließlich auch ohne Wohnung klar.

Problem 2: Es wird mit Durchschnittswerten gerechnet und v.a. herausgerechnet. Etwa bei den vieldiskutierten Beträgen für Alkohol und Tabak. Nur weil der durchschnittliche Hartzer 18 Euro verqualmt und verraucht kann man nicht jedem diesen Betrag rausrechnen (bzw. gegen 3 Euro für Wasser verrechnen). Der Bedarf eines Rauchers und Trinkers kann durchaus ein anderer sein. Fünf Bier sind schließlich auch ein Schnitzel.

Zwei Bürger müssen mit jeweils 100 Euro auskommen. Der eine versäuft und verqualmt alles, der andere versucht sich damit satt zu kriegen. Im Durchschnitt gibt jeder 50 Euro für Tabak und Alkohol und 50 Euro für Lebensmittel aus. Wenn wir jetzt den Alkohol und Tabak herausrechnen, müsste der Abstinenzler nur noch mit 50 Euro satt werden. Sein Bedarf liegt aber weiterhin bei 100 Euro. Genau das wird bei der Berechnung der Uschi V-Sätze gemacht.

Beispiele für diese sinnlose und willkürliche Durchschnittsberechnungen ließen sich beliebig fortsetzen: Im Schnitt geben die unteren 20% anscheinend weniger als 3 Euro für das Internet aus. Die bekommt jetzt jeder Uschi V-Bezieher mit einberechnet. Einen Internetanschluss bekommt für diesen Betrag aber keiner. Das Geld kannst Du eigentlich nur versaufen.

Für Mobilität gibt es 22 Euro. In Essen kannst Du damit 10 Fahrten mit Bus und Bahn unternehmen, d.h. an fünf Tagen kann man den ÖPNV nutzen. Mobil ist man damit nicht. Eine Monatskarte kostet mindestens 37 Euro. Nur weil etwa 1/3 der Hartzer Stubenhocker sind (oder, es sei ihnen gegönnt, in Gegenden mit günstigerem ÖPNV leben) müssen alle (Essener) Hartz IV-Bezieher zu Hause bleiben. Die 22 Euro kannst Du dann wiederum nur für Bier ausgeben.

(Update: Für Kinder gibt es sogar weniger als 14 Euro. Das Schülerticket in Essen kostet bspw. aber fast 28 Euro (u.U. gibt es jedoch Ermäßigungen). Eine höhere Schulbildung ist so nicht finanzierbar, da Gymnasien i.d.R. nicht in direkter Wohnortnähe liegen wie bspw. Grund oder Hauptschulen. In Schwalm-Eder übernimmt der Kreis großzügigerweise die etwa 40 Euro für die Gymnasiasten, Fach- und Berufsschüler. Der Bedarf wird also bei weitem nicht gedeckt und die Zahlungen gehen auch am Anspruch vorbei, die Kinder von Hartz IV-Empfängern aus der Armutsspirale herauszuholen, wenn man ihnen noch nicht einmal den Weg zur Schule finanziert.)

Diese Willkür in der Berechnung der Hartz IV-Sätze hat das Bundesverfassungsgericht jedoch gerügt. Es hat nicht das Existenzminimum festgelegt, es hat nur eine transparente und nachvollziehbare Berechnung gefordert. Aber auch bei Uschi V hat sich nicht viel geändert. Den wahren Bedarf zu berechnen hat man nicht einmal versucht, man hat sich lediglich die Mittelverwendung der Unterschicht angeschaut. Verwendung und Bedarf sind jedoch zwei Paar Schuhe. (Es kann jedoch trotz allem sein, dass der Bedarf nur bei 364 Euro liegt, allein der Nachweis fehlt weiterhin.)

Update, 03.10.2010: Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband hat sich die Zahlen einmal angeschaut - so weit dies möglich war. Unter anderem monieren sie, dass bei vielen Einzelpositionen die Referenzgruppen so klein waren, dass die gewonnen Zahlen als nicht valide gelten. Und auch sie bemängeln, dass durch das herausrechnen von bspw. Tabak und Alkohol die Stichprobe verändert wird.

Update, 24.10.2010: Ähnliche Kritik am Zahlenwerk und die von mir schon angesprochene Problematik der Ableitung von IST-Größen auf SOLL-Werte gibt es nebenan bei Vera in einem Gastbeitrag von Lutz Hausstein.

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