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Wenn Abgeordnete ihr Gewissen entdecken

[Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. (Art. 38 I (2) GG)

Diesen Artikel werden die meisten das letzte Mal wohl im Gemeinschaftskundeunterricht in der Schule wahrgenommen haben. Dass es (formal) keinen Fraktionszwang gibt dürfte den meisten Bürgern, (politischen) Journalisten und Politikern sowieso, völlig unbekannt sein. So scheint es zumindest.

Aktuell wird bspw. bei der PID großzügigerweise der Fraktionszwang aufgehoben und den Abgeordneten für eine Abstimmung ein Gewissen eingeräumt (oder auch zugemutet). Dies wird von Politikern aller Couleur so in die Welt und Mikrofone hinausposaunt und von Journalisten und Medien fleißig wiedergekäut. Wir haben uns so an den Fraktionszwang gewöhnt, dass uns gar nicht mehr bewusst ist, dass dieses Konstrukt verfassungswidrig ist, da es der Ausübung des freien Mandats widerspricht.

Der Abgeordnete ist zur Abnickmaschine der Fraktionen und der Regierung verkommen. Er macht sich selber überflüssig. Er macht sich so überflüssig, dass er nicht einmal mehr gefragt wird. Die Bundesregierung lässt das Gesetz über Internetsperren nicht anwenden ohne das Parlament zu fragen. Es setzt den vom Parlament beschlossenen Ausstieg aus dem Ausstieg aus und sich über das Parlament hinweg. Das Königsrecht des Parlaments, das Budgetrecht, wird beim Euro-Rettungsschirm außer Kraft gesetzt.

Der Aufstand der Anständigen Abgeordneten ist bislang ausgeblieben.

Für was leisten wir uns diesen Apparat an 600 Angeordneten, diese Alibiveranstaltung eigentlich? Reichen nicht eine handvoll Fachpolitiker aus, abgestimmt wird nach dem Ergebnis der Bundestagswahl. Abgestimmt wird wie Mutti es will. Wie soll man aber z.B. unseren heranwachsenden Bürgern im Politik- und Geschichtsunterricht den Unterschied zwischen Bundestag und Volkskammer erklären (wenn nicht einmal Mutti das differenzieren kann). Besteht der einzige Unterschied darin, dass die Opposition in der bundesdeutschen Demokratie geschlossen gegen statt mit der Regierung stimmt?

Es mag sicherlich auch viele gute Gründe für die Fraktionsdisziplin geben. Fehlende Sachkenntnis in allen möglichen Fachgebieten ist einer davon. Angst von der Partei ausgebootet und bei der nächsten Wahl nicht mehr (oder auf einem aussichtslosen Listenplatz)  aufgestellt zu werden ein anderer. Auch wenn es anstrengend und unsicher (für den Abgeordneten) ist, kann ein Abgeordneter auch trotz Gewissensentscheidung gegen die Fraktionsdisziplin politisch überleben. Über das Direktmandat. Bestes (einziges?) Beispiel ist Hans-Christian Ströbele. Man mag ihn mögen oder nicht, aber unbequem und sich treu war er zumindest immer. Der Wähler dankte es ihm und hievte ihn von einem aussichtslosen Listenplatz per Direktmandat in den Bundestag.

Eine andere Möglichkeit Politiker mit Gewissen zu belohnen wäre bspw. die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens. Aber dazu müssten sich die Politiker ohne Genehmigung vom Fraktionszwang loseisen und ihr Gewissen finden, denn von den Spitzen der Parteien wird man dieses sehr (zu?) demokratische Wahlverfahren wohl nicht auf die politische Agenda setzen. Es würde schließlich die Macht der Selektion der Abgeordneten auf den Wähler übertragen.

Der Politikverdrossenheit würde ein wiedergefundenes Gewissen auf jeden Fall entgegenwirken.

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