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Jud Süß - Film ohne Gewissen

Wow, wir waren bei einer Premiere. Mit anwesenden Schauspielern und Regisseur. Inklusive jeder Menge Presseauflauf und rotem Teppich vor dem Kino. Sehr beeindruckend das Ganze. Man kam kaum durch den Vorraum der Essener Lichtburg in den eigentlichen Kinosaal, weil gerade Moritz Bleibtreu drinnen stand und fotgrafiert wurde. *staun Bauklötze* 

Doch erst einmal zum Film: Erzählt wird die Entstehungsgeschichte des Nazi-Propagandafilms "Jud Süß", mit dessen Produktion Goebbels (Moritz Bleibtreu) den Regisseur Veit Harlan (Justus von Dohnányi) beauftragt hat. Als er den Schauspieler Ferdinand Marian (Tobias Moretti) bei einer Probe als Jarko in Shakespeares Othello sieht, ist der Propagandaminister von dessen Darstellung des Juden so angetan, dass er nur noch ihn für die Rolle des Jud Süß haben möchte.

Marian ist hin und her gerissen: Einerseits ist es für ihn eine große Chance und zu einem Angebot von Goebbels sagt man natürlich auch nicht einfach so nein, andererseits möchte er nicht an einem Propagandafilm der Nazis mitwirken, mit deren Positionen er offensichtlich nicht viel gemeinsam hat, zudem hat er Angst in der "Rolle des Juden" gefangen zu bleiben. Doch es kommt, wie es kommen muss: Marian hat keine Chance, er fügt sich dem Druck und sein letzter Akt des Widerstandes ist es, die Rolle so sympathisch wie möglich für die Zuschauer zu interpretieren. Dumm nur, dass er damit auch wieder nur den Absichten der Nazis in die Hände spielt.

Die Geschichte nimmt natürlich kein gutes Ende. Marian verfällt zusehens dem Alkohol, seine Frau Anna (Martina Gedeck) wird als Halbjüdin denunziert und verhaftet, er verscherzt es sich mit Goebbels und endet auf einer kleinen Barbühne in Prag. Auch nach dem Krieg sieht es nicht besser für ihn aus. Zwar wird sein Auftrittsverbot aufgehoben, aber die Opfer des Naziregimes erkennen ihn und schlagen ihn zusammen und schließlich muss er auch noch erfahren, dass Anna in den Gaskammern eines Konzentrationslagers ums Leben gekommen ist. Marian begeht Selbstmord, indem er sein Auto gegen einen Baum fährt.

Der Film hat mich bzw. uns (Nicole war auch mit von der Partie) sehr zum Diskutieren angeregt - über einzelne Elemente, unseren Gesamteindruck, die Leistungen der Schauspieler. Auch in den ersten Vorführungen auf der Berlinale war das wohl ähnlich, wie man jetzt hört und liest.

Was mir gut gefallen hat, ist die Darstellung der Figur des Ferdinand Marian, die sehr ambivalent bleibt. Er will die Rolle eigentlich nicht, dann irgendwie doch, weil er den Ruhm sieht, der damit verbunden ist, dann wieder nicht, weil er ja kein Nazi ist. Das fand ich sehr glaubwürdig und nach allem, was ich bisher über die historischen Tatsachen weiß, ist diese Darstellung auch sehr zutreffend. Tobias Moretti hat mir in der Rolle sehr gut gefallen, tolle Leistung.

Auch Martina Gedeck als seine Frau Anna ist gut besetzt, allerdings fangen hier schon meine ersten Kritikpunkte an: Warum musste sie unbedingt im Film zur Halbjüdin werden? Der Regisseur meinte bei der Premiere, damit ihre moralische Position glaubhafter sei, was ich - gelinde gesagt - für Blödsinn halte. Hätte sie als Katholikin, die sie wohl tatsächlich war, nicht auch moralisch urteilen und handeln können? Und dann noch der im Gartenhaus versteckte jüdische Freund. Da wundert es mich dann doch, dass Marian nicht die Chance ergriffen hat, sich nach der Fertigstellung des Films nach Amerika abzusetzen. So naiv kann er dann ja nicht gewesen sein, nicht zu wissen, wie gefährlich die Lage für ihn und seine Frau werden würde. 

Im Ganzen trägt mir der Film an einigen Stellen sehr stark auf und gleitet in einen schlechten Pathos ab. Beispiele hierfür sind etwa die überdreht wirkenden Sexszenen (vor allem die am Hotelfenster in der Bombennacht), das Hausmädchen Britta, welches natürlich in einer späteren Szene noch einmal als Mitglied eines Trupps auftaucht, der offensichtlich jüdische Bürger aus ihren Wohnungen vertreibt und den Pelzmantel (auch das noch... Achtung Tierschutz!) eines ihrer Opfer anzieht und schließlich: Moritz Bleibtreu als Goebbels. 

Seine Performance wird sicherlich den meisten Anlass für Diskussion bieten. Die einen werden ihn genial gut, die anderen unglaublich schlecht finden. Ich stehe irgendwo dazwischen. Einerseits fand ich ihn recht passend besetzt und auch seine Interpretation der Figur gut (Goebbels, der Partylöwe und Künstlerfreund, der sich gerne in diesen Kreisen bewegt und auch mal beim Dreh vorbei schaut und Regieanweisungen gibt). Andererseits wirkt seine Darstellung manchmal so gekünstelt und überzogen, dass sie unfreiwillig komisch wird. Möglicherweise kommt das auch sehr nah an den realen Goebbels ran, da bin ich mir nicht sicher. Trotzdem hat mich irgendwie den ganzen Film über irritiert.

Die drei Tiger sollten allerdings niemanden davon abhalten, sich den Film anzusehen. Ich/ wir können ihn wirklich nur empfehlen. Er regt zum Nachdenken und Diskutieren an, was ich sehr gut finde. Nicht nur über den Film an sich, sondern auch über die reale Geschichte dahinter. 

Maiks zweite Meinung:  Ich kann mich im Großen und Ganzen Tanjas Kritik anschließen. Gut besetzt fand ich jedoch Moritz Bleibtreu als Joseph Goebbels. Was ein wenig störte, war allenfalls, dass Bleibtreu viel jünger und nicht so kantig und hager wie Goebbels rüberkam. Die Körpersprache, die Mimik, der Umgang mit Menschen, das schmeichelnde und fordernde, der Wahnsinn, all das hat er meiner Meinung nach erschreckend überzeugend gespielt.

Was mich störte ist v.a. die "historische künstlerische Freiheit" im Film. Tanja hat ja oben schon die Rolle der Anna Marian erwähnt. Auch an der Rolle des Ferdinand Marian wurde die "künstlerische Freiheit" ausgiebigst ausgelebt. Zumindest was die Zeit nach dem Film "Jud Süß" darstellt. Offensichtlich hatte er es sich nicht mit Goebbels verscherzt. Er war zwar zunächst auf Propagandafilme festgenagelt, drehte aber bis Kriegsende weiter Filme und wird schließlich auch in Goebbels "Gottbegnadeten-Liste" aufgenommen, die ihm vor einem Fronteinsatz bewahrten.

Der Film will eigentlich nicht politisch Stellung beziehen, er will den Marian nicht gut oder böse darstellen, er wil ihn ambivalent lassen. Aber gerade durch die Änderung der historischen Fakten bezieht der Film politisch Stellung bei der Figur des Ferdinand Marian. Und sie macht die Figur unglaubwürdig (wie Tanja ebenfalls schon oben bei der Fluchtmöglichkeit nach Amerika anmerkte). Was ist so schlimm an einem Schauspieler der sich mit dem Regime arrangiert? (Ich meine jetzt im Film, nicht in der realen Sicht.) So wird der Marian jedoch als Figur dargestellt, mit der man fast Mitleid haben möchte, da er an der Rolle des "Jud Süß" und dem Regime zerbricht.

Diese Eingriffe in den historischen Kontext lassen mich ebenfalls für drei Tiger votieren. Ohne diesen wäre ich durchaus bereit vier oder sogar volle fünf Tiger zu vergeben, da er von der schauspielerischen Perspektive sehr gut inszeniert wurde und auch die Ambivalenz, der man in totalitären Regimen unterliegen kann (mit den oben genannten Abstrichen), zeigt.

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