Ich weiß noch nicht, ob ich mir heute abend Gülle-Günthers Talk im Ersten antun werde. Nicht nur, weil ich eigentlich seit langem dieses Talk Show Gesabbel nicht mehr anschaue. Sondern auch, weil ich nicht weiß, ob ich und mein Inventar Manfred Spitzers Forschungen Polemiken übersteht. Alle, die sich selbst kasteien wollen, sollten sich natürlich vorher wappnen. Denn von der Gästeliste her dürfte das Ganze eine recht einseitige Veranstaltung werden. Kritiker Spitzers Theorien wurden entweder nicht eingeladen oder haben abgelehnt dem Faktenverweigerer Spitzer bei seinem Verkaufsprogramm zu unterstützen.
Was könnte ein Wissenschaftler auch gegen die unwissenschaftlichen aber populistischen Aussagen eines Wissenschaftlers ausrichten, der sich bei Jauch auch noch als jemand ausgeben lässt, der sich in seinen "Forschungen (...) mit der Auswirkung von digitalen Medien auf das menschliche Gehirn" beschäftigt, obwohl er hierzu m.W. überhaupt nichts Wissenschaftliches veröffentlicht hat. Sein Buch "Digitale Demenz" gibt auch keine eigenen Forschungsergebnisse wieder (wenn er zu dem Thema forschen würde, würde er sich aber selbstverständlich ausgiebig selbst zitieren). Nun könnte man das Ganze noch als Metastudie verkaufen. Dann müsste er aber auch mit den Methoden einer Metastudie arbeiten und insbesondere auch Studien mit in die Betrachtung einbeziehen, die sich gegenteilig äußern.
Martin Lindner findet deshalb bspw., dass, wenn Spitzer nicht Professor und "'Hirnforscher' wäre, wäre das nur die hysterische Suada eines vor sich hin räsonnierenden, oft schwafelnden Bildungsbürgers, der seine eigene Epoche/Kultur völlig kritiklos glorifiziert und seine Lebenserfahrungen zum positiven Maßstab erklärt. (...) Wäre er nicht der ärztliche Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, mit vielen peer-reviewten englischsprachigen Aufsätzen zur Wirkung von Depressionen und Sucht auf das Langzeitgedächtnis, würde kein Hahn danach krähen. (... Wenn ein) Mitglied einer Evaluationskommission dieses Buch in die Hand bekäme, müsste (er/sie) eigentlich die Gelder streichen."
Auch Heinz Moser nimmt "das holzschnittartige Mantra des Herrn Spitzer" auseinander. Beide, Lindner und Moser, arbeiten sich dabei an den Aussagen Spitzers ab. Beide müssen sich durch Spitzers Forschungsarbeit Prosa gekämpft haben, dafür gebührt ihnen Respekt.
Guido Brombach hat darüber hinaus das nachgeholt, was Spitzer für eine echte Metastudie hätte machen müssen (wenn Spitzer also wirklich zum Thema forschen würde): "Während Spitzer nur nach Studien gesucht hat, die belegen, dass digitale Medien Kindern und Jugendlichen schaden, habe ich nur Studien gesucht, die das Gegenteil belegen. Natürlich sind mir auch andere untergekommen, aber die werde ich ebenso verschweigen, wie Spitzer."
Zu guter letzt gibt es noch eine (satirische) Replik von Patrik Schönfeld: Analoge Demenz.
[Update: Ich habe mir Gülle-Günther doch angetan. Und ich bin angenehm überrascht. Die Diskussion ist erstaunlich mehrseitig. Spitzer und Gerster entlarven sich selbst, Yogeshwar und Jantke sind erstaunlich spitzfindig und stechen bei Spitzer in die richtige Lücke. Sehr unterhaltsam.]