Eins ist jetzt schon sicher, das Steuermodell des "Professors aus Heidelberg" wird nicht kommen. Zu viele Bevölkerungsgruppen fühlen sich überfordert, vor allem die Subventionsempfänger - also alle. Das ist schade, denn bei nüchterner Betrachtung hat das Kirchhof'sche Bierdeckelmodell durchaus seinen Charme. Andererseits geht der "Steuerexperte" an manchen Stellen auch nicht weit genug, hier könnte er "radikaler" sein.
Die Bierdeckel-Steuererklärung von Kirchhof (und Friedrich Merz) wird und wurde gerne belächelt und lächerlich gemacht. Was jedoch ist an einer einfachen Steuererklärung lächerlich? Jeder schimpft und schwitzt mindestens einmal im Jahr über den Formularen der Steuererklärung. Oder kann sich einen Steuerberater leisten. Jeder ist für eine Vereinfachung - solange es nicht an seine Absetzungstatbestände geht.
Zumal von den meisten Absetzungsmöglichkeiten nicht diejenigen profitieren, für die sie eigentlich eingeführt wurden. Oder drücken wir uns vorsichtiger aus: Für die vorgegeben wird, dass man ihnen etwas gutes tun will: Es sind mal wieder die kleinen und mittleren Einkommen. Doch ähnlich wie bei den schwarz-gelben Steuersenkungsplänen, über die ich gestern schon geschrieben hatte, liegt es in der Natur der Sache, dass die steuerliche Entlastung mit steigendem Einkommen steigt (absolut und relativ). Eine Beispielrechnung:
Die einfachste und beliebteste Absetzungsart ist sicherlich die Entfernungspauschale. Bei einer schon recht anständigen (einfachen) Entfernung von 50 km zur Arbeit kommt man bei 200 Arbeitstagen und 0,30 Euro / km auf 3.000 Euro absetzbare Fahrtkosten. Bei einem Jahresbrutto von 20.000 Euro (1.666 Euro pro Monat) liegt der Grenzsteuersatz z.Zt. bei etwa 27%, d.h. das Finanzamt erstattet 810 Euro. Bei einem (schon recht ordentlichem) Brutto von 60.000 Euro ist die Erstattung jedoch fast doppelt so hoch (42% Steuersatz, 1.260 Euro Erstattung).
Für die gleichen Ausgaben gibt es also unterschiedliche Erstattungen. Ist das gerecht? Gerechtigkeit ist ein Totschlagsargument in jeder Steuerdiskussion. Der Gesetzgeber versucht mit der Steuergesetzgebung alle möglichen Lebensumstände abzubilden. Den Pendler. Die Nachtarbeit. Den Kontoinhaber. Den Wäschewascher. ... Aber kann die Steuergesetzgebung wirklich allen Lebensumständen gerecht werden? Warum darf jemand, der "billig" auf dem Land wohnt seine Pendelei sich z.T. von der Allgemeinheit finanzieren lassen, derjenige, der teuer in der Stadt wohnt, aber seine höhere Miete nicht von der Steuer absetzen? Ist das gerecht?
Dieses einfache Beispiel zeigt schon, dass es schwierig ist, es wirklich allen Lebensumständen gerecht zu machen. Wäre einfacher nicht vielleicht doch gerechter? Das derzeitige Steuersystem ist vor allem für diejenigen gerecht, die es nicht nötig haben. Diejenigen, die soviel verdienen, dass für sie die Absetzungsmöglichkeiten lediglich zu Mitnahmeeffekten führen. Diejenigen, die es sich leisten können jemanden zu bezahlen, der die tausenden an Absetzungsmöglichkeiten für einen durchforsten kann. Dieses Steuersystem belohnt nicht die Krankenschwester, es belohnt nicht den pendelnden Geringverdiener. Ist das gerecht?
Natürlich wird es bei einer Steuervereinfachung Verlierer geben. Dies sind vor allem diejenigen, die viele und hohe Absetzungsmöglichkeiten haben. Zum Beispiel Pendler mit sehr weiten Arbeitswegen. Gerecht wird man es allen nicht machen können. Weder mit dem jetzigen System noch mit dem aus Heidelberg.
Ich bin jedoch davon überzeugt, dass eine Abschaffung der meisten Absetzungsmöglichkeiten bei gleichzeitiger Senkung des jetzigen Steuertarifverlaufs vor allem die kleinen und mittleren Einkommen entlasten würde. Sie können in der Regel eh kaum etwas absetzen, profitieren jedoch von den geringeren Steuersätzen.
Hieran krankt aber offensichtlich das Kirchhof'sche Steuermanifest. Obwohl der Steuertarifverlauf (mit 0% bis 10.000 Euro, 15% bis 15.000 Euro, 20% bis 20.000 Euro und 25% für alles darüber) immer unter dem jetzigen Tarifverlauf liegt, scheint es so, dass die unteren Einkommensgruppen wahrscheinlich belastet würden (Link geht zur Blöd). Da steckt der Teufel offensichtlich im Detail der 146 Paragraphen. Dies ist ein schwerwichtiger Grund, warum dieses Steuermodell sich nicht durchsetzen wird. Das hätte der Professor aus Heidelberg wissen müssen.
Die Unausgegorenheit des Steuermodells von Kirchhof zeigt sich allerdings auch noch an anderer Stelle. Zum einen wäre hier die Erbschafts- und Schenkungssteuer in Höhe von 10%. Kirchhof hat - zu recht - das Wirrwarr an den Einkommensarten auf eine einzige zusammengefasst. Bis auf die Einkünfte aus Schenkungen und Erbschaften.
Ein weiterer Punkt ist aus meiner Sicht, dass sich Kirchhof lediglich das Steuersystem vorgenommen hat und die Abgaben außen vor gelassen hat. Für den Steuerbürger ist jedoch seine gesamte Abgabenbelastung (Steuern und Sozialversicherungen) maßgebend. Inklusive Sozialversicherungsabgaben (etwa 20% Arbeitnehmeranteil) ist die Abgabenbelastung der viel umworbenen kleinen und mittleren Einkommensgruppen auch im Kirchhofmodell bei nahezu 50%. Nicht jedoch bei allen, die sich von der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung freikaufen können: Beamte, Freiberufler, Selbständige und "Großverdiener".
Der "gesamte" Grenzsteuersatz eines durchschnittlichen Arbeitnehmers liegt heutzutage schon höher als jener eines "Millionärs". Inklusive Sozialversicherungsabgaben entsteht sogar ein degressives "Steuersystem" anstatt des vielgepriesenen progressiven. Der "Professor aus Heidelberg" hätte bei seiner Zusammenfassung der Einkommensarten auch die Sozialversicherungspflicht mit einbeziehen sollen und müssen.
Das deutsche Steuer- und Abgabensystem - das derzeitige und das Kirchhof'sche - haben Anreizsysteme hin zu (prekärerer Schein-) Selbständigkeit und Kapitaleinkommen. Arbeit wird bestraft. Auch bei Kirchhof. Einkommen aus Kapitalerträgen - egal in welcher Höhe - werden niedriger belastet als Einkünfte aus Arbeit.
Dies zu lösen, das hätte ich mir auch gewünscht vom Professor aus Heidelberg. So verbleibt es als ein Steuersystem, welches vor allem die hohen Einkommensschichten entlastet. Die kleinen und mittleren Einkommen jedoch belastet (oder zu einem Nullsummenspiel wird). Der vielumworbene Mittelstand geht wieder einmal leer aus. Auch bei Kirchhof. Und so wird er weiter der "Professor aus Heidelberg" bleiben.