Hans-Ulrich Jörges hat im Stern einen Zwischenruf verbreitet: "Das entmündigte Volk". So ganz unrecht hat er mit seinen Einschätzungen nicht, greift aber dabei mehr als einmal tief ins Klo:
Ein "Fliegenschiss" ist dabei noch seine Ermittlung des "Kompromisses", den die Mehrwertsteuererhöhung gebracht hat. Nun wird so ein Kompromiss nicht durch schlichte Addition ermittelt: "2 + 0 = 3" - die Gewerkschaften würden sich freuen - sondern i.d.R. durch (annähernde) Mittelwertbildung: (2 + 0) / 2 = 3 hätte der korrekte Aufschrei lauten müssen. Journalistengott sei Dank hat die SPD nicht 1% Mehrwertsteuererhöhung gefordert, sonst käme Herr Jörges ins Schwitzen.
Bei den Volksabstimmungen in Berlin brennt die mathematische und journalistische Lampe im Hirn von Herrn Jörges indes völlig durch. Vielleicht hätte er sich hier mal lieber selber schlau machen - wie es im Journalistenhandbuch steht - und nicht einfach blind aus der Blöd abschreiben sollen:
Selbst dort, wo die Länder dem Volk direkte Entscheidung zubilligen, wird es mitunter betrogen. In Berlin scheiterten Volksentscheide über den Flughafen Tempelhof und Religionsunterricht an den Schulen am Quorum von 25 Prozent der Wahlberechtigten - sie erreichten nur 21,7 und 14,2 Prozent.
Das stimmt bestenfalls nur halb, es haben mehr Berliner gegen Pro-Reli gestimmt als dafür, das Quorum hätte also auch bei 2+0=3% liegen können, der Volksentscheid für Pro-Reli wäre trotzdem gescheitert. Aber hieran ist auch schon die Blöd gescheitert, aus der Hans-Ulrich Jörges offenbar sein Halbwissen hat.
Weiter gehts:
Eigentlich hätte der 20. Jahrestag der gesamtdeutschen Verfassung gefeiert werden müssen. Denn in Artikel 146 des Grundgesetzes war - und ist! - vorgeschrieben, dass dieses Provisorium nach Wiederherstellung der Einheit durch eine per Volksabstimmung gebilligte Verfassung ersetzt werden muss. Die Verweigerung ist glatter Verfassungsbruch.
Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
Ich stimme ja mit ihm überein, dass man sich btw mit der Übernahme der Ostzone Wiedervereinigung (für manche auch Widervereinigung) auch gleich mal eine generalüberholte Verfassung hätte geben können. Wenn ich mir aber so manche Äüßerungen unserer Politiker, allen voran Schäuble, anhöre, kann ich mit dem ollen Grundgesetz ganz gut leben, zumindest besser als Schäuble & Co. Nichtsdestotrotz steht da aber nichts von einer Pflicht zur Ersetzung. Von Verfassungsbruch kann also keine Rede sein. Herrn Jörges steht aber der Gang nach Karlsruhe frei, um das mal abschließend klären zu lassen.
Ich fände es ja zunächst einmal viel produktiver für unsere Demokratie, wenn die sog. vierte Gewalt ihrer Aufgabe mal wieder gerecht würde. Anstatt Mikrofonhalter für unsere Politiker (und Sportler und ...) zu sein und allenfalls einmal aufzuschreien, wenn Rechte der Journalisten, wenn die Pressefreiheit in arge Bedrängnis gerät. Dass er selber nicht viel Vertrauen in seine Zunft hat, zeigte sich neulich auch bei Lanz im ZDF, wo er angesichts der Dienstwagenaffäre von Ulla Schmidt jammerte, dass man sich nicht zu sehr über die SPD freuen sollte, denn wir brauchen DIESE SPD noch, man darf die Merkel nicht alleine lassen.
Dies ist richtig und falsch: Falsch, da wir DIESE SPD nicht brauchen. Eine kontur-, profil- und inhaltslose Partei, die der CDU in allem hinterherhechelt und lediglich den Steigbügel hält, brauchen wir mit Sicherheit nicht. Wir brauchen eine starke Opposition, eine starke Kontrolle der Regierung und hierzu zählt neben der parlamentarischen Opposition auch die vierte Gewalt als Kontrollinstanz. Ob diese Kontrolle in der Politik die SPD einnimmt oder eine andere Partei ist dabei ziemlich schnuppe. Ich wäre froh, wenn eine (nicht DIESE) SPD diese Rolle einmal wieder einnehmen würde und könnte. Recht hätte er, wenn es an Kontrolle durch Opposition und/oder vierter Gewalt mangelt, dann müssen wir in der Not auch auf diese SPD zurückgreifen. Herr Jörges tut es bereits. Der Bürger kann sich über den Zuschauerjournalismus u.a hier informieren