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Sechs steile Thesen zum Onlinewahlkampf 2009: A Comment

Nebenan bei netzpolitik.org postete Jörg-Olaf Schäfers eine Feedbackanfrage. Mathias Richel vom Gesprächskreis Netzzensur Netzpolitik der SPD stellte für das zweite Politcamp "Sechs steile Thesen zum Onlinewahlkampf 2009 und im allgemeinen" auf und bat um Kommentare dazu. Dann mal los:

Erstens: Onlinewahlkampf funktioniert nicht, weil es keinen Onlinewahlkampf gibt. 

Das schieben wir mal nach hinten, da es eigentlich die Schlussfolgerung aus den restlichen fünf Thesen ist.

Denn zweitens: Eine gute Onlinepräsenz dient vor allem der Aktivierung der eigenen Anhänger und weniger der Überzeugung von Wählern.

Wahlkampf ob online oder analog sollte immer auch der Aktivierung und Motivation der eigenen Anhänger dienen. Was passiert, wenn man vor allem um neue Wählerschichten buhlt und die eigenen Anhänger nicht motivieren kann - sogar demotiviert -, führte ja gerade die SPD in den letzten beiden Bundestagswahlen vor. Das Schielen auf den CDU-Wähler, sorry, die Mitte vergraulte die eigene Anhängerschaft: Sie blieb zu Hause.

Weil drittens: 1000 Tweets nicht ein einziges Gespräch mit dem Bürger am Wahlstand oder den Eindruck auf Veranstaltungen ersetzen können.

Twitter bedeutet ja nicht zwangsläufig Onlinewahlkampf. Das Internet ist ja groß und es bieten sich weitaus bessere Spielwiesen. Der Irrglaube war jedoch, dass ein bissel Twitter und Facebook Onlinewahlkampf ist. Yes, we can datt auch! Twitter und Facebook ersetzen keine Diskussion. Richtig. Sie machen einen Kandidaten vielleicht ein bisschen sympatischer. Wieder menschlicher. Aber diskutieren kann man hier wohl kaum (richtig). Aber online kann man den potentiellen Wähler genau da abgreifen, wo er ist. Zu Hause. Man muss nicht erst ins Bürgerbüro oder auf eine Wahlveranstaltung latschen. Womöglich noch bei schlechtem Wetter. Oder bei einer Partei, die man noch nicht mal "mag". Ein Blog mit Kommentarfunktion oder die "Online-Sprechstunde" bei abgeordnetenwatch.de können aber genauso gut sein wie ein Gespräch und vor allem auch jene überzeugen, die eigentlich nicht auf die Wahlkampfveranstaltung gegangen wären (dann klappt es auch mit "zweitens").

Aber viertens: Ein Tweet reicht, um zu verlieren, genau wie schlechte Politik.

Ein dummer Spruch reicht online oder analog um "zu verlieren". Das ist nicht neu. Bei Twitter wird vielleicht nicht drüber nachgedacht, was man gerade schreibt. Blödsinn. Es gibt immer Situationen, wo man oder frau etwas rausposaunt und sich später denkt "hätte ich bloß mal die Fresse gehalten." Der Unterschied ist, dass einem online eine unbedarfte Äußerung länger nachhänkt, da sie immer wieder abrufbar ist und nicht im Altpapiercontainer landet. Das hat aber nichts mit einer "Online-Äußerung" zu tun, sondern damit dass alles online "verewigt" wird - auch "Offline-Äußerungen".

Deshalb fünftens: Sollten Parteien zuerst das meist unterschätzte Tool des Internets nutzen: Das permanente Zuhören, bevor sie am meist überschätzten Tool des Internets scheitern: Dem permanenten Dialog.

Richtig. Aber auch hier gibt es keinen Unterschied zwischen online und analog. Auch in der analogen Welt sollte man zuhören. Und dies haben die Parteien und ihre Funktionäre auch schon vor Twitter und dem Onlinewahlkampfgedöns vernachlässigt. Seit Jahren und Jahrzehnten geht den sog. Volksparteien das Volk flöten. Die SPD ist doch nicht erst durch den "Onlinewahlkampf" zur Splitterpartei verkommen. Warum sind die Grünen entstanden? Weil niemand diesen Menschen zuhören wollte. Warum ist Schröders SPD mit seiner Agenda-Poltik und den Hartz-Reformen beim Wähler gescheitert? Weil er/sie nicht einmal der eigenen Basis mehr zuhören wollte. Basta. Wer hat bei der Vorratsdatenspeicherung nicht zugehört und wollte den CDU-Wählern in den Arsch kriechen? Wer hat selbiges bei der Zensursula-Gesetzgebung erneut getan? (Da sind wir übrigens wieder bei "zweitens", der Demotivation der eigenen Anhänger durch Nicht-Zuhörens und weil man andere Wählerschichten ohne Rücksicht auf eigene Verluste überzeugen will.)

Darum gilt sechstens: Zum Zuhören brauchen die Parteien eine dauerhafte, kampagnenunabhängige Internetpräsenz, über die sie zuerst glaubhaft und transparent informieren und dann endlich echte Diskussionen und offene Gespräche zulassen.

Hier kann ich vielleicht noch am meisten zustimmen. Obwohl ich erstens, dass wiederum nicht auf die Online-Welt beschränken und zweitens auch hier viel früher den Dialog ansetzen würde. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Meinung schon zu festgefahren ist und man den Argumenten in der Diskussion wieder nicht zuhören will. Ach so, "zuhören" darf natürlich nicht "auf Durchzug stellen" heißen.

Und daraus folgt:

Erstens: Onlinewahlkampf funktioniert nicht, weil es [bis jetzt noch] keinen Onlinewahlkampf [gab].

Weil Onlinewahlkampf mehr ist als Twitter und Facebook.

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