"Der Freistaat Bayern tut sich wieder einmal mit Regulierungswut hervor" schimpft Bruno Kramm, denn in Bayern ist es Tankstellen untersagt, an "Nicht-Reisende" (Fußgänger und Radfahrer) zu verkaufen. Dabei ist das nur die konsequente Anwendung des Sonderrechts für Tankstellen zur Umgehung des Ladenschlussgesetzes. Was einem Supermarkt verwehrt wird, sollte nicht durch eine Tankstelle ausgehebelt werden dürfen. Aus welchem sachlichen Grund sollte es einer Tankstelle erlaubt sein, Bier zu verkaufen, wenn es ein Supermarkt gleich nebenan nicht dürfte? Das Verkaufsverbot ist daher nur recht und billig.
Das bayerische Beispiel zeigt aber dennoch sehr schön die (und da hat Bruno Kramm durchaus recht) Überregulierungswut in Deutschland - denn die gibt es tatsächlich. Es ist halt nunmal nicht so, dass einfach eine Regel aufgestellt wird, nein es müssen immer auch gleich - meist schlecht oder gar nicht begründete - Ausnahmen hinzugepackt werden.
Da gibt es bei der Einkommensteuer bspw. die Pendlerpauschale als Subvention für aufs Land- und in den Speckgürtelzieher sowie Umweltverschmutzer und Bestrafung für diejenigen, die in der teuren Stadt wohnen bleiben. Da gibt es das Ehegattensplitting, womit wir schon seit langem eine "Herdprämie" haben, welches es für Frauen den Ehepartner mit dem geringeren Einkommen (wegen der hohen steuerlichen (Grenz-)Belastung) unattraktiv macht, arbeiten zu gehen.
Den bekanntesten steuerlichen Ausnahmewahnsinn gibt es sicherlich bei der Mehrwertsteuer. Warum wird die Pizza am Tisch in der Pizzeria mit 19% besteuert, wo der Pizzabäcker sogar noch eine Bedienung und sonstigen Klimbimm bezahlen muss, sobald die Pizza jedoch 10 Ecken weiter mit dem Auto gekarrt wird, fallen nur 7% an. So subventionieren wir alle den Pizzalieferdienst. Basilikum wird mit 7%, Oregano Thymian oder Petersilie mit 19% besteuert. Und natürlich nicht zu vergessen der - auch bürokratische - Schwachsinn mit der gekauften Hotelsubvention.
Neben diesen bekannten Beispielen, welche Stilblüten Ausnahmeregelungen schaffen, ist der Irrsinn beim Ladenschluss weit weniger bekannt, aber umso beeindruckender. Seit der Novelle 2006 gibt es ein bundeseinheitlichen Ladenschluss nur noch am Sonntag. Das Gesagte gilt für Bayern, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen werktags zwischen 20/22 und 6 Uhr analog.
Am Sonntag ist es grundsätzlich untersagt seinen Laden geöffnet zu haben. Ausnahmen gibt es bei Tankstellen und bei Bahnhöfen sowie Flughäfen. Hier ist es erlaubt, an Reisende Reisebedarf zu verkaufen. Grundsätzlich darf aber eben nur Reisebedarf an Reisende verkauft werden. Theoretisch müssten an Bahnhöfen also die Fahrscheine kontrolliert werden.
Außerdem ist es erlaubt, dass Bäckereien zeitlich begrenzt (meist etwa 5 Stunden am Vormittag) am Sonntag frische Brötchen verkaufen dürfen. Ab mittags dürfen diese Brötchen dann nicht mehr verkauft werden. Zumindest nicht als normale Brötchen. Denn aufgeschnitten und mit Butter beschmiert ist das dann kein normales Brötchen mehr, sondern ein verzehrfertiges Lebensmittel. Das darf dann wieder verkauft werden, die Bäckerei wird quasi zur Pommesbude. Wer keine vorgeschmierten Brötchen mag, auch wenn sie bäckerfrisch duften, der geht fährt (Reisebedarf an Reisende beachten!) dann doch lieber zur Tankstelle und kauft dort frisch gebackene Brötchen. Zwar vorgefertigte Teiglinge aus dem Backautomaten, aber eben nicht vorgeschmiert.
Besser hat es da der Bäcker, der seine Verkaufsstelle in einem touristischen Zentrum hat. Denn da darf er - und auch andere Verkaufsstellen - seinen Laden auch am Sonntag ganz normal geöffnet haben. Aber nur innerhalb des touristischen Areals. Ist die Bäckerei auch nur einen Meter außerhalb, heißt es ab 12 Uhr wieder Brötchen schmieren.
Was zeigen uns die ganzen Geschichten über die Ausnahmen? Es mag sicherlich immer Gründe für Ausnahmen von der Regel geben. Es mag sicherlich Sinn machen, dass Reisende an Bahnhöfen und Tankstellen Reisebedarf kaufen können. Nur wo fängt Reisebedarf an und wo hört es auf? Beim Dildo? Die Ausnahmen müssen also gut begründet und exakt eingegrenzt werden. Und die mit den Ausnahmen gesetzten Anreize sollten geprüft werden (siehe Pendlerpauschale).
Oder andersrum: Brauchen wir eine Ausnahme? Schon heute sind in den meisten Bundesländern die Öffnungszeiten außer sonntags rund um die Uhr freigegeben. Hand hoch, wer einen Supermarkt kennt, an dem man am Mittwoch um 3:45 Uhr einkaufen kann. Auch ohne Regulierung haben sich die Öffnungszeiten auf ein halbwegs normales Niveau zwischen 8 und 8 eingependelt (idiotische Ausnahmen bestätigen die Regel). Die restlichen Zeiten werden den Tankstellen und Bahnhöfen überlassen. Ganz freiwillig und ohne Ausnahmeregulierung. Warum brauchen wir also überhaupt noch ein Ladenschlussgesetz? Und damit Ausnahmen von der Regel?
"Einfachheit ist die höchste Stufe der Vollendung" (Leonardo da Vinci). Auf heutige Zeit übersetzt: Die Ausnahmen sind das Problem, nicht die Regeln. Zumindest in der Regel.