Hans-Werner Sinn findet Windkrafträder hässlich. Architektonisch haben es ihm eher Atomkraftwerke und Castorbehälter angetan. Die hat er viel lieber in seiner schönen bayerischen Landschaft und in seinem Garten stehen. Gut, über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Er ist so begeistert von der architektonischen Schönheit deutscher Kernkraftwerke, dass er für diese zu jeder Zeit und jedem Anlass die Stimme erhebt. Aktuell stört ihn der Ausstieg aus dem Ausstieg vom Ausstieg aus der Kernenergie. Dass die Abschaltung der deutschen Atomkraftwerke keine Auswirkungen auf die deutschen bzw. europäischen CO2-Emissionen haben, habe ich bereits dargelegt und auch Dino Sinn sieht dies so.
Dennoch verwundert es, dass Hans-Werner Sinn sich Sorgen ums Klima macht. Genauer gesagt, dass er behauptet, dass der Ausstieg aus der Atomenergie und Wiedereinstieg in die Kohle- und Gasverstromung schlecht für das Klima sei. Schließlich hat Hans-Werner Sinn auch das Grüne Paradoxon (pdf) erfunden aufgewärmt.
Der von Hans-Werner Sinn als grünes Paradoxon getaufte Leakage-Effekte besagt im Grunde nichts anderes, als das unsere Umweltbemühungen durch "dreckige" Staaten konterkariert werden: Sinkt bei uns die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen wie Kohle oder Öl, so übt dies einen Druck auf die Weltmarktpreise nach unten aus. Die billigeren Rohstoffe erhöhen nun die Nachfrage im Ausland bzw. in den nichtregulierenden / nichtgrünen Staaten. Im schlimmsten Fall heben sich beide Effekte auf, und unsere Klimaanstrengungen bringen rein gar nichts. Diese pessimistische Ansichtsweise hat z.B. Hans-Werner Sinn.
Dann ist es jedoch fraglich, warum der Ausstieg aus der Kernenergie und die daraus folgenden Mehremissionen Deutschlands durch Kohle-, Gas- oder Ölverstromung überhaupt Auswirkungen auf das Klima haben sollten. Wenn das von Sinn beschwörte Grüne Paradoxon Gültigkeit hat, dann ist es eh egal, ob wir Atom- oder Kohleenergie benutzen. Solange nicht ein weltumspannendes Emissionshandelssystem / Ökosteuersystem / Ökoregulierungssystem ohne Ausnahmen implementiert wird (was unabhängig vom Leakage-Effekt vernünftig wäre).
Für alle, die jetzt desillusioniert in den Abgrund schauen: Es gibt einen Hoffnungsschimmer. Ein Leakage-Effekt von 100% (=Grünes Paradoxon) kann nur dann eintreten, wenn das Angebot an fossilen Brennstoffen vollkommen starr ist. Einige Ölvorkommen sind jedoch bspw. äußerst schwer auszubeuten und bei sinkenden Rohstoffpreisen rechnet sich das dann nicht mehr. Aber auch die Ölvorkommen der "Ölscheichs" sind nicht kostenlos ausbeutbar, so dass nicht davon auszugehen ist, dass das Angebot wirklich vollkommen starr ist. Aber auch, aufgrund einer strengen Ökopolitik, induzierter technischer Fortschritt mildert über den Spillover-Effekt die Leakageproblematik ab.1 Schätzungen der Leakage-Raten reichen somit von etwa 5% über 20%2 bis hin zu 60% (Requate lt. Spon).
1 Vgl. u.a. Di Maria und van der Werf (2008): "Carbon Leakage Revisited: Unilateral Climate Policy with Direct Technical Change", Environmental & Resource Economics, Vol. 39, S. 55–74; Gerlagh und Kuik (2007): "Carbon Leakage with International Technology Spillovers", FEEM-Working Paper 33; Golombek und Hoel (2004): "Unilateral Emission Reductions and Cross-Country Technology Spillovers", Advances in Economic Analysis & Policy, Vol. 4.
2 Vgl. bspw. Hillebrand et al. (2002): "Zertifikatehandel für CO2-Emissionen auf dem Prüfstand", S. 72 ff.; Gerlagh und Kuik (2007): "Carbon Leakage with International Technology Spillovers", FEEM-Working Paper 33.