Gerade sehe ich eine interessante Frage, die Lars Fischer nebenan bei den WISSENSlogs stellt. Diesen Aspekt habe ich noch gar nicht betrachtet, finde ich aber sehr spannend und will versuchen aufzuklären.
Um was geht es eigentlich:
Allerorten heißt es ja, die Sperren würden dazu beitragen „den Markt für Kinderpornographie auszutrocknen“ (Guttenberg), bzw. der „kommerzielle Massenmarkt“ werde „entscheidend gestört“, wenn die Seiten vom Netz verschwinden (Familienministerium).
Diese Argumentation funktioniert im Verlagswesen seltsamerweise genau andersherum: Dort beschweren sich Verleger und Journalisten permanent, dass die im Internet verfügbaren Inhalte ihr Geschäftsmodell kaputtmachen, weil keiner mehr für Zeitungen bezahlen will. Jeder, der beruflich Texte produziert, wünscht sich im Grunde nichts sehnlicher als dass die ganze Online-Kostenloskultur möglichst schnell wieder verschwindet (d.h. genau das, was jetzt mit der Online-Kinderpornographie passiert). Weil man – grob gesagt – wegen der ganzen Internetseiten mit dem Produkt kein Geld mehr verdienen kann.
Nehmen wir also einmal an, es gäbe ein kommerzielles Angebot an KiPos im www, d.h. dort wird dieser Schweinkram gegen Geld angeboten. Dann würde durch Netzsperren (auch hier nehmen wir mal an, sie würden funktionieren) tatsächlich die Nachfrage einbrechen und die KiPo-Industrie ausgetrocknet.
Das „Verlagswesen“ beklagt hingegen das kostenlose Angebot im Netz, durch das ihr traditionelles Geschäftsmodell „kaputt“ gemacht wird. Man beklagt sich also hier, dass das Gratisangebot im Netz zu groß ist. Wenn die Inhalte im Internet nur käuflich erwerbbar wären, würde das „Verlagswesen“ vermutlich nicht so laut aufschreien.
Hieraus lassen sich nun einige interessante und z.Z. sehr bedenkliche Schlussfolgerungen ziehen:
Wir sehen also, wenn es, wie behauptet, eine kommerzielle KiPo-Industrie im Netz gibt, dann wäre eine Netzsperre eine Möglichkeit (von vielen anderen) dem Treiben ein Ende zu setzen (zumindest im Web). Wenn wir jedoch unsere oben gemachte Annahme nur ein bisschen lockern – es gibt zwar eine kommerzielle KiPo-Industrie, aber nicht im Netz – kommen wir zu einem überaus unerwünschten Ergebnis: Das kostenlose und „geschäftsschädigende“ Angebot im Internet wird zurückgedrängt und die Nachfrage verlagert sich hin zur kommerziellen Industrie. Wenn diese Bundesregierung also nur ein bisschen mit ihrer Analyse danebenliegt, schädigt sie nicht die KiPos sondern fördert sie sogar: Wenn die Nachfrage nach kommerziellen Angeboten steigt, wird auch das Angebot zunehmen, also mehr Kinder missbraucht. Ein überaus perverser Schutz der Kinderpornographie!
Wie steht es nun um das kommerzielle Angebot im Netz? Dazu Lutz Donnerhacke nebenan bei netzpolitik.org über die dreizehn Lügen der Zensursula:
Lüge #2 und Hauptproblem bei den tragenden Politikern: Es gibt keinen Massenmarkt, es gibt keinen kommerziellen Vertrieb, es gibt keine Millionenumsätze. Es sind Einzeltäter und die tauschen in geschlossenen Zirkeln, vornehmlich außerhalb des Internets.
Lüge #5: Derartige Seiten [gewerbliche/kommerzielle KiPo-Websites, Anm.d.Verf.] sind nicht bekannt. Sie tauchen in keiner der Blockadelisten irgendwelche[r] Staaten auf. Die Ermittler und in dem Feld tätigen Anwälte wissen nichts von derartigen Seiten.
Und lassen wir auch noch einen dieser Anwälte zu Wort kommen, Udo Vetter vom law blog:
Nehmen wir nur die Internetnutzer, bei denen tatsächlich Kinderpornos auf Datenträgern gefunden werden. Keiner, ich wiederhole, keiner der in den letzten anderthalb Jahren dazu gekommenen Mandanten hat auch nur einen Cent für das Material bezahlt.
Aber gibt es überhaupt eine gewerbliche KiPo-Industrie? Udo Vetter schreibt hierzu weiter:
Alle, ich wiederhole, alle haben die Kinderpornos aus Tauschbörsen, Newsgroups, Chaträumen, Gratisbereichen des Usenet oder aus E-Mail-Verteilern. Manche kriegen es auf DVD, ganz normal mit der Post. Kein einziger jedoch hat seine Tauschpartner bezahlt. Und diese Tauschpartner haben auch nichts verlangt.
Nehmen wir die Bundesregierung also beim Wort, dann will sie eine Industrie bekämpfen, die es gar nicht gibt. Warum aber diese Nebelkerzenwerferei, ist dieser eklige Scheißdreck alleine (egal ob kommerziell oder rein privat) nicht ein ausreichender Grund dagegen vorzugehen (über die Mittel darf man ja dann trotzdem noch streiten)? Oder geht es dieser Regierung einfach doch nur darum ein Zensurmittel einzuführen, wie die Bundesjustizministerin Zypries eingesteht:
Ich gehe davon aus, dass dadurch Begehrlichkeiten geweckt werden, auch Inhalte [...] zu reglementieren, die keinen Bezug zu Kinderpornografie aufweisen. [...] Befürchtungen, die Liste sperrwürdiger Inhalte würde sehr schnell sehr lang werden, sind in meinen Augen berechtigt.
Warum hat sie diesem Gesetz dann aber zugestimmt?