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Timur Vernes "Die Hungrigen und die Satten"

Fernsehmoderatorin Nadeche Hackenbusch soll neue Folgen ihrer Serie "Engel im Elend" statt in deutschen Flüchtlingsheimen nun in einem Lager mitten in Afrika drehen. Begleitet wird sie von ihrem üblichen Tross aus Fernsehleuten sowie der (Qualitäts)Journalistin Astrid von Roelle, die für das Magazin Evangeline exklusiv über Hackenbusch, ihre Klamotten und die Marken aller anderen Assessoires berichten wird. Flüchtling Lionel gelingt es, sich mit rätselhaften Sprüchen, die er spontan erfindet, die für die deutschen TV-Macher aber so wunderbar afrikanisch rüberkommen, einen Job bei der Produktion zu besorgen. Dass sich Nadeche in ihn verliebt, war eigentlich nicht geplant, aber es sieht eine Chance so nach Deutschland zu kommen. Als ihm klar wird, dass die Moderatorin da überhaupt nicht dran denkt (nicht aus Bösartigkeit, sondern weil sie nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte ist), sucht Lionel nach einem anderen Weg und findet schließlich die Lösung: Er organisiert einen Flüchtlingsmarsch, der die Teilnehmer*innen bis nach Deutschland bringen soll. Nadeche ist sofort dabei und damit auch das deutsche Privatfernsehen. Die wittern Quoten und Werbeinnahmen. Und weil sich Lionel als Organisationstalent mit erstaunlich "deutschen" Fähigkeiten erweist, kommt der Flüchtlingstross immer näher an das ersehte Ziel. Sehr zum Unbehagen des deutschen Innenministers und seines Staatssekretärs, der sich plötzlich doch wünscht, dass die Auswahl der Arbeitsplatte für die neue Küche sein größtes Problem wäre...

Mich hatte bereits das erste Buch des Autors ziemlich begeistert und da ich böse politische Satire mag, habe ich mir auch diesen Roman zugelegt. Erneut gelingt es Timur Vernes unserer Gesellschaft den sprichwörtlichen Spiegel vorzuhalten. Bei vielen der geschilderten Szenen denkt man erst "nein, wie übertrieben", um sich dann zu fragen, ob es wirklich übertrieben ist und nicht doch schon sehr dicht an der Wahrheit. Die Satire kommt hier nicht mit der Brechstange, sondern auf gefährlich leisen Sohlen - aber das ist es gerade, was das Buch so gut macht.

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Horch und Guck: