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Ferdinand von Schirach: Verbrechen

Der Strafverteidiger Ferdinand von Schirach hat im Sommer letzten Jahres einen Bestseller geschrieben. Aufmerksam auf das Buch bin ich Ende letzten Jahres geworden, als er im WDR2 Montalk zu Gast war. In Verbrechen werden 11 Fälle vorgestellt, mal mehr, mal weniger spektakulär. Immer auch mit einem Blick aus der Sicht des Verteidigers und der Frage der Schuld.

  • Fähner: Ein angesehener Arzt bringt nach 35 Ehejahren seine Frau um. Wie konnte es zu der Tat kommen? Und wie soll man ihn bestrafen? Er liebt seine Frau - noch immer.
  • Tanatas Teeschale: Drei Halbstarke aus Berlin Neukölln brechen in ein Haus eines Japaners ein und stehlen neben Geld auch eine scheinbar unbedeutende Teeschale. Der Besitzer setzt eine Belohnung aus. Am Ende geben die Jungs die Beute freiwillig zurück und zahlen auch noch eine "Aufwandsentschädigung".
  • Das Cello: Ein Vater lässt seine beiden Kinder sehr streng erziehen. Nur das Cello-Spiel bleibt der Tochter und ihrem Bruder. Beide verlassen den Vater und schlagen sich so durch. Bis nach einem Unfall der Bruder dauerhaft behindert bleibt. Nun geht die Familientragödie ihrem bitteren Ende zu.
  • Der Igel: Karim ist der einzige seiner Familie, der Grips hat und nicht auf die schiefe Bahn geraten ist. Seine Familie unterschätzt ihn und er lässt sie in dem Glauben. Sie merken nicht einmal, wie er seinen Bruder mit einem Trick vor Gericht vor einer Verurteilung bewahrt...
  • Glück: Irina ist aus Osteuropa und illegal in Deutschland. Sie muss sich prostituieren. Sie hat niemanden mehr. Bis sie Kalle, einen Bettler, kennenlernt. Dann bekam ein Freier Irinas einen Herzinfarkt. Irina möchte nicht abgeschoben werden und Kalle will ihr helfen, doch die Sache fliegt auf. Aber für was soll man sie bestrafen?
  • Summertime: Stefanie und Abbas lieben sich sehr. Von seinen Drogengeschäften weiß sie nichts. Irgendwann rutscht er jedoch in die Spielsucht hinein. Die Schulden können sie nicht aufbringen und Stefanie sieht nur einen Ausweg, ihren Körper verkaufen. Dann wird sie tot in einem Hotelzimmer aufgefunden. Aber wer hat sie ermordet? Abbas oder ihr "Liebhaber" Percey? Und warum?
  • Notwehr: Zwei Nazis haben Langeweile und belästigen einen Mann auf einem Bahnsteig. Sie zücken ein Messer und haben einen Baseballschläger dabei. Der Mann reagiert zunächst nicht und wird mit dem Messer verletzt. Noch immer keine Reaktion. Dann geht alles ganz schnell und die beiden Nazis liegen tot auf dem Bahnsteig. Der Mann wartet ruhig auf die Polizei. Aber seine Personalien lassen sich nicht feststellen, er sagt kein Wort und hat eine große Geldsumme dabei. Irgendetwas stimmt mit ihm nicht. Aber kann man ihn festhalten?
  • Grün: Philipp bringt Schafe um. Dann kommt er verstört zur Polizei und eine Freundin von ihm ist verschwunden. Hat er sie auch umgebracht und warum tötet er die Schafe?
  • Der Dorn: Feldmayer hat einen neuen Job, er ist Aufseher in einem Museum. Normalerweise rotieren sie, damit der Job nicht zu eintönig wird. Durch einen Zufall behält Feldmayer seinen Raum. Über 20 Jahre lang. Dies verändert ihn und kurz vor seiner Pensionierung zerstört er eine Statue. 
  • Liebe: Zwei junge Studierende lieben sich sehr. Dann ritzt er ihr aus heiterem Himmel mit einem Messer in den Rücken. Ein sauberer Schnitt. Er erzählt seinem Anwalt, warum er dies getan hat, will sich aber nicht helfen lassen.
  • Der Äthiopier: Ein Mann sitzt auf einer Wiese. Er lässt sich ohne Widerstand festnehmen. Er hatte gerade eine Bank überfallen. Er hatte eigentlich nie Glück und eine Familie gehabt. Bis er nach Äthiopien kam. Wegen einer Haftstrafe aus seinem früheren Leben in Deutschland wird er dorthin zurückgebracht. Nun will er unbedingt zurück - zu seiner Familie.

Ohne langatmig zu werden nimmt sich von Schirach viel Zeit für die Geschichte der Protagonisten. Es geht hier weniger um das juristische an sich. Um Verhandlungen, Anträge, Plädoyers. Der Leser soll sich ein Bild von den "Tätern" und der Tat machen. Er soll aber nicht (unbedingt) mit ihnen sympathisieren. Manchmal wird der Leser in die Frage der angemessenen Strafe eingebunden, v.a. wenn die Tat nicht so in das Schema der gewöhnlichen Taten passen, für dass man die "üblichen" Strafen kennt. Manchmal geht es aber auch um die Sicht eines Verteidigers, dessen Job nichts anderes ist, als seinen Mandanten zu verteidigen, Zweifel an seiner Schuld zu finden.

Die Geschichten sind sehr breit gefächert. Nicht allen erschließt sich ein wirkliches "Verbrechen". Vor allem nach der ersten Geschichte, die wohl überall zitiert wird, wenn es um dieses Buch geht, fallen manch andere wieder etwas ab. Deswegen gibt es auch einen kleinen Abzug...

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Horch und Guck: