Ökonomie ist mehr als die Wissenschaft vom Homo Oeconomicus. Menschen folgen zwar i.d.R. ihnen gesetzten Anreizen, aber manchmal sind diese Anreize nicht auf Anhieb zu erkennen, manchmal verhalten sie sich auch einfach nicht rational. Der Ökonom Steven D. Levitt und der Journalist Stephen J. Dubner versuchen die Wirtschaftswissenschaften auf unkonventionelle Art und Weise zu erklären.
Freakonomics ist mittlerweile schon 6 Jahre alt, ich bin auf dieses Buch während eines Seminars unseres Lehrstuhls aufmerksam geworden. Nun habe ich es mir zugelegt - und gleich vorweg - ich bin enttäuscht. Der Ansatz ist gut und richtig; Ökonomie ist eben nicht nur der rational handelnde Homo Oeconomicus, der über alle relevanten Informationen verfügt. Das ist allerdings - in den Wirtschaftswissenschaften - auch nicht so neu, wie die Autoren weiß machen wollen.
Der Beginn ist recht ansprechend, es wird viel über Anreize geschrieben, die einen großen Einfluss auf die Entscheidungen der Agenten haben. Warum haben Lehrer einen Anreiz bei Klausuren zu betrügen, warum sollten Sumoringer freiwillig verlieren? Warum (sollten) Immobilienmakler nicht den höchsten Preis herausholen, obwohl sie doch nach deren Höhe entlohnt werden?
Leider verlieren sich die Autoren aber ziemlich schnell in endlosen Statistiken und ausschweifenden Erzählungen. So wird der Leser bspw. durch Antwortstatistiken der Klausuren von betrügerischen Lehrern gequält. Im Kapitel über den Ku-Klux-Klan wird die komplette Historie wiedergekäut, ohne dass immer ersichtlich wird, was dies zur Quintessenz des Kapitels beiträgt. Hier hätten sich die Autoren wesentlich kürzer fassen können.
Entscheidend für die Punktabzüge waren jedoch die letzten beiden Kapitel über die "Elternschaft". Hier wird der Leser nun vollends mit Statistiken gequält, die auch noch wieder und wieder rekapituliert werden. Die wesentlichen Erkenntnisse gehen in der Signifikanzprüfung jedoch leider unter. Diese letzten beiden Kapitel sind nur noch Statistikliebhabern zuzumuten. Gekrönt wird das ganze mit dem letzten Kapitel, welches sich ausschließlich der (richtigen?) Namensgebung widmet. (Kurz zusammengefasst: Eine Chantal oder ein Finn-Kevin wird nicht wegen des Namens zum Hartz IV-Fall, sondern weil er vornehmlich von der sozialen "Unterschicht" vergeben wird und die soziale Schicht (aus verschiedenen Gründen) leider immer noch einen (zu) großen Einfluss auf den Werdegang unserer Sprösslinge hat. Ach nee!?)
Eine vollkommene Zumutung ist die Benutzung von End- statt Fußnoten. Dies liegt auch daran, dass die Autoren in den Endnoten nicht ausschließlich Literaturverweise unterbringen, bei denen man sich der Übersichtlichkeit halber - und für ein populärwissenschaftliches Buch vertretbaren Art - für Endnoten entschieden hat. "Fußnoten" im ugs. Sinne von Anmerkungen gehören für mich jedoch zwingend unter den Text der Seite und nicht ans Ende. Wenn die Autoren der Meinung sind, dass ihre Anmerkungen so wichtig sind, dass sie hierfür eine Fußnote opfern müssen, dann sollte dies dem Leser auch an prominenter Stelle präsentiert werden. Wenn sie hingegen der Meinung sind, dass diese so unwichtig sind, dann lasst sie um Himmels willen weg.
Entschädigt hat mich ein bisschen der Anhang, der in dieser Ausgabe beigelegt wurde. Dieser beinhaltet u.a. die Freakonomics-Kolumnen aus dem New York Times Magazine, die als Grundlage für das Buch dienten. Hier zeigt sich, dass die Autoren ein enges Korsett benötigen, um Geschichten gut rüberzubringen. Steht ihnen nicht der Platz für Aus- und Abschweifungen, wie in einem Buch, zur Verfügung, so können sie eine Story packend, interessant und unterhaltsam präsentieren. Außerdem wurde noch ihr Internet ausgedruckt, d.h. ausgewählte Beiträge aus ihrem Freakonomics-Blog beigeheftet, die allerdings auch interessanter zu lesen sind als die Hauptkapitel des Buches.
Aufgrund des recht interessanten Beginns und des Anhangs kann ich noch drei Tiger vergeben, eine wirkliche Kaufempfehlung jedoch nur für Statistikfetischisten abgeben. Wer gerne einen (auch für Nichtökonomen verständlichen) Streifzug durch die Nichtmainstream-Ökonomie haben möchte, dem sei eher das Buch Ökonomie 2.0 von Norbert Häring und Olaf Storbeck empfohlen.