Das Thema Piratenpartei scheint beim Handelsblatt die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn zusammenbrechen zu lassen und Beißreflexe in leider schlecht begründeten Artikeln hervorzurufen. Anders kann ich den Artikel von Norbert Häring nicht deuten. Ich kann mich eigentlich nicht daran erinnern, dass es mir bei einem Artikel von Häring spontan in den Fingern juckte - zumindest nicht bei denen, die ich gelesen habe.
Wie Häring zu Recht schreibt, haben die Piraten bis jetzt noch kein ausgearbeitetes Konzept. Im Gegenteil, sie sind noch auf der Suche, wie der Spitzenkandidat der Piraten zur Landtagswahl in NRW, Joachim Paul, am Mittwoch im wdr Duell betonte. Ziel sei es zunächst die unzähligen Modelle erst einmal seriös "durchrechnen" zu lassen. Es ist also von vornherein recht müßig, sich über ein Konzept auszulassen, das noch gar nicht existiert. Darüber - dass kein konkretes Konzept zur Debatte steht - kann man sich zur Not aufregen, das macht Häring aber gar nicht.
Stattdessen greift er sich aus der Palette der Modelle (eine kleine Auswahl gibt es wie immer bei Wikipedia) willkürlich eines heraus - ohne überhaupt wissen zu können, ob dies überhaupt von den Piraten gewählt werden wird. Schön er- und abschreckend sind da natürlich hohe Zahlen, wie bspw. die 1.000 € des dm Gründers Götz Werner. Das es auch weitaus geringere Bürgergeldforderungen, wie bspw. die von den als lupenreine Kommunisten verschrieenen Thomas Straubhaar und Dieter Althaus gibt, findet in dem Pamphlet von Häring in keiner noch so kleinen Fußnote Beachtung.
Wir müssen jetzt also mit den von Häring willkürlich herausgepickten 1.000 € bedingungslosem Grundeinkommen leben, die wohl am oberen Ende der Fahnenstange anzusiedeln sind. Wer soll das aber bezahlen, fragt man sich da natürlich, v.a. wenn das Gehalt ja noch einfach oben drauf kommt, wie Norbert Häring dem naiven Handelsblatt-Leser weiß machen will.
Dabei lässt er natürlich bewusst im Dunkeln, dass es Gegenfinanzierungskonzepte über die Einkommensteuer gibt. So sieht bspw. das von Straubhaar und Althaus vorgesehene Bürgergeld von 600 € (netto) eine Einkommensteuer von 50% vor. Es ist also keineswegs so, dass das "alte" Gehalt einfach oben drauf kommt, sondern das eben dieses über die Einkommensteuer mit dem Bürgergeld "verrechnet" würde.
Und wenn Häring sich schon am Konzept von Werner auslässt, dann sollte er es wenigstens gelesen - bzw. wenn gelesen auch verstanden - haben. Bei Werner ist es nämlich keinesfalls so, dass das Gehalt einfach so "oben drauf" kommt, bei ihm werden alle(!) Einkommen, also neben den Sozialleistungen auch die Löhne und Gehälter, mit dem Grundeinkommen verrechnet.
Aber Häring schlägt stattdessen lieber alternative naivere schwachsinnigere Finanzierungskonzepte vor:
Das Konzept wäre leicht zu finanzieren, wenn man einfach mehr Geld druckt. Dann würde durch Inflation die Kaufkraft des Grundeinkommens auf das Niveau von Hartz-IV oder darunter sinken.
So kann man natürlich jede Ausgabe des Staates finanzieren und gegen Null tendieren lassen. Warum hat sich Häring dann aber nicht gleich das "billigere" Konzept von Straubhaar und Althaus als Beispiel herausgesucht? Noch blöder geht es ja kaum noch. Das bedingungslose Grundeinkommen soll ja gerade ein - wie auch immer geartetes - Leben/Niveau ermöglichen. Würde durch Inflation das Grundeinkommen - gar unter das Existenzmininimum - gesenkt, so müsste dies natürlich angepasst werden, sonst wäre die ganze Sache so witzlos wie die Ergüsse von Häring.
Da das Gelddrucken, wegen der Währungsunion und der Schuldenbremse [sic!] - nicht wegen seiner schwachsinnigen Argumentation - ausscheidet, bleibt nur Staatsverschuldung oder Steuererhöhungen. Staatsverschuldung geht nun wegen der Schuldenbremse nicht (hier gehört das Argument hin, nicht zum Gelddrucken!), bleiben also noch Steuererhöhungen.
Zum einen wären da für Häring die Mehrwertsteuer, die zu Inflation führen würde. Hierbei muss man jedoch anmerken, dass die Mehrwertseuererhöhung das Preisniveau ceteris paribus nur einmalig erhöhen würde. Ein dauerhafter Anstieg der Inflationsrate muss von einer Steuererhöhung jedoch nicht ausgehen.
Zum anderen bliebe da noch die Einkommensteuer, die dann - nicht ganz unplausibel - den Arbeitsanreiz - v.a. für die gering Qualifizierten und Entlohnten - senken würde. Übersehen wird dabei von Häring, dass auch das jetzige System des Hinzuverdienstes und deren Anrechnung auf die Grundsicherung Steuersätze ähnlich denen von Straubhaar und Althaus (50%) hervorrufen. Der (monetäre) Anreiz zur Arbeitsaufnahme muss sich durch das Bürgergeld zum status quo also gar nicht mal verschlechtern.
Es ist sogar fraglich, ob die Steuern in dem von Häring polemisch plakativem aber nicht näher spezifiziertem "kräftigem" Ausmaß erhöht werden müssten. Unzweifelhaft beträgt das Gesamtvolumen der von Häring willkürlich herausgepickten Obergrenze des Werner'schen Bürgergeldes mehr als 1/3 des Bruttoinlandprodukts. Allerdings würden durch das Bürgergeld auch alle anderen Sozialleistungen, wie Häring selbst nur wenige Zeilen weiter oben schreibt, gestrichen. Und diese Sozialleistungen machen in der Summe fast 1/3 des Bruttoinlandsprodukts aus.
Des weiteren ist es unseriös über eine Einkommensteuererhöhung zu diskutieren, wenn das Konzept von Werner, welches sich Häring ja selber herausgepickt, aber offensichtlich nicht gelesen geschweige denn verstanden hat, überhaupt keine Ertrags- also auch Einkommensteuern vorsieht. Diese sollen lt. Werner komplett durch die Mehrwertsteuer ersetzt werden.
Aber auch die Konsequenzen aus dem von Häring zusammengewürfelten Bürgergeld in puncto Löhne und Arbeitsanreiz müssen überhaupt nicht eintreten. Das jetzige System der Mindestsicherung hat bspw. einen Niedriglohnsektor gerade erst gefördert. Und bei Werner würden die Löhne sogar um das Bürgergeld gesenkt.
Je nachdem, wie das Bürgergeld gegenfinanziert wird, gibt es unterschiedliche Auswirkungen auf den Arbeitsanreiz und die Lohnhöhe. In einem System, in dem das Gehalt auf das Grundeinkommen draufgesattelt wird, muss es überhaupt nicht zu verminderten Arbeitsanreizen kommen. Im Gegenteil, da der Hinzuverdienst nur durch den Steuersatz beschnitten wird (bei Straubhaar/Althaus bspw. 50%), jedoch nicht nahezu komplett verrechnet wird (bei Hartz IV liegt der "Steuersatz" bei 80-90%) kann der Anreiz zur Arbeitsaufnahme sogar steigen. Ein Druck auf die Lohnhöhe müsste nicht eintreten bzw. es ist pauschal nicht ermittelbar, in welche Richtung er geht. Durch den höheren Anreiz auch schlechter bezahlte Jobs (im Straubhaar/Althaus Modell) anzunehmen, könnte der Niedriglohnsektor sogar noch ausgedehnt werden, die Löhne also tendenziell sogar sinken.
Im Werner'schen Modell hingegen gibt es bis zu den 1.000 € bedingungslosem Grundeinkommen eine 100%-ige Verrechnung mit den Löhnen. Hier sinkt natürlich der monetäre Anreiz eine Arbeit aufzunehmen bzw. die Löhne in diesem Bereich müssten steigen. Das bedingungslose Grundeinkommen würde hier eine Art Mindestlohn bedeuten.
Dass ein Mindestlohn jedoch nicht zwangsläufig negative Effekte auf dem Arbeitsmarkt haben muss, kann Herr Häring und der Leser gerne im Handelsblatt nachlesen. Und auch ich habe dazu bereits ausgeführt, dass es darauf ankommt in welchen Sektoren der Mindestlohn eingeführt wird. Sind die Arbeitsplätze recht immobil und/oder besteht Marktmacht auf Seiten der Arbeitgeber in bestimmten Sektoren so muss ein Mindestlohn keine negativen Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt haben.
Fazit: Ob und wie ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt werden sollte, darüber lässt sich wahrlich streiten. Dies sollte dann aber auch mit gut begründeten Argumenten und nicht mit platter Polemik geschehen. Und wenn man sich ein Modell herauspickt, dann sollte man fairerweise auch dieses Modell kritisieren und sich nicht an irgendwelchen hineininterpretierten aber überhaupt nicht zutreffenden Details auslassen. Wenn ich eine Hühnersuppe bestellt habe, dann kann ich mich nicht darüber aufregen, dass diese nicht nach Schwein schmeckt.
Und anstatt zu pauschalisieren und vermeintliche Wahrheiten zu verallgemeinern, sollte sich auch der promovierte Volkswirt Norbert Häring an die größte Weisheit bzw. Standardantwort der Volkswirte erinnern: Es kommt drauf an!