Ein kleines Statement aus aktuellem (wiederholtem) Anlass: Der Amoklauf in Winnenden war eine schreckliche Sache - keine Frage. Sehr bewusst habe ich das damals auch nicht hier kommentiert... Was soll man auch dazu schreiben, außer Mitleid für die Opfer und Angehörigen auszudrücken? Erschreckend ist und bleibt aber, dass diese Tat mal wieder eine Hexenjagd auf Computerspiele ausgelöst hat, weil der Täter ja auch Computerspiele gespielt hat. (Wie wohl übrigens ein Großteil der deutschen Jugendlichen, Nichtnutzung wäre meiner Meinung nach eher ein erstaunliches Merkmal gewesen.)
Wie auch immer, einige der Reaktionen habe ich damals auf den Schock unmittelbar nach der Tat und zum einem Teil auch auf blinden politischen Aktionismus geschoben. Nach dem Motto: "Wir wissen nicht wirklich, was alles diese Tat ausgelöst hat und werden wohl auch in Zukunft nie 100%-ig verhindern können, dass es solche Idioten gibt, aber irgendwas müssen wir jetzt mal eben schnell tun." Doch scheinbar hat sich in einigen Köpfen die monokausale Kette First-Person-Shooter = Ursache für Amoklauf festgesetzt und nun wird alles getan dieses Teufelszeug zu verbannen. Darunter leiden jetzt aktuell die E-Sportler, denn eine der bekanntesten deutschen E-Sport Turnierserien - die Intel Friday Night Games der ESL - mussten jetzt schon zum zweiten Mal einen Termin absagen, weil sich der Veranstalter vor Ort plötzlich an Winnenden erinnerte und ein Turnier, wo auch Counter-Strike gespielt wird, nun nicht mehr in seiner Stadt haben will. Sowohl in Stuttgart als auch in Nürnberg ist dies in dieser Saison nun also geschehen und stellt meiner Meinung nach eine unverständliche und im Falle von Nürnberg auch widersprüchliche Überreaktion dar.
Ich habe vollkommenes Verständnis dafür, dass wenige Tage nach einem solchen Vorfall, noch dazu in unmittelbarer Nähe wie im Falle Stuttgart, es nicht vertretbar ist, eine Veranstaltung abzuhalten, wo Publikum klatscht und jubelt, wenn auf virtuelle Pixel geschossen wird und gute Headshots kommentiert und gefeiert werden. Das ist überhaupt keine Frage. Was ich nicht verstehe, ist, dass keinerlei Anstalten gemacht wurden mit den Leuten von Turtle zu reden und sich zum Beispiel auf eine Änderung der Disziplinen zu verständigen: Dann halt WarCraft und FiFa und warum nicht eine Diskussion über die Ereignisse, eine Aktion zum Gedenken an die Opfer...? Ich habe die Mitarbeiter von Turtle und der ESL als sehr aufgeschlossene Diskussionspartner erlebt und kann mir nicht vorstellen, dass die hier nicht kompromissbereit gewesen wären. Auch die E-Sportler, die ich bisher kennenlernen konnte, machten auf mich nicht den Eindruck diskussionsresistent zu sein und ich glaube auch nicht, dass sie sich einer Gedenkaktion widersetzt hätten. (Zur Erinnerung: Am Wochenende nach Winnenden liefen alle deutschen Profi-Fussballer mit schwarzen Armbinden auf. Warum gab es diese Möglichkeit nicht auch für die E-Sportler?)
Bei den beiden abgesagten Terminen war übrigens auch eine Eltern-LAN geplant, eine Informationsveranstaltung für Eltern und PädagogInnen über Computerspiele und E-Sport. Auch die fiel der städtischen Zensur zum Opfer. Schade, gerade hier hätte sich doch das ideale Setting geboten, um zu diskutieren und sich auszutauschen.
Übrigens, warum die Absage aus Nürnberg mich richtig sauer gemacht hat: Diese Stadt hatte nämlich keine Probleme damit zwei Tage nach dem Amoklauf in Winnenden die größte deutsche Waffenmesse stattfinden zu lassen. (Nicht ganz ohne komischen Beigeschmack.) Ich frage mich, auf welcher Basis hier Entscheidungen getroffen werden. Weiter kommentieren muss ich das wohl nicht, oder?
[Update und Gegenargument]: Wenn es stimmt, was Heise hier berichtet, sollte man gewissen Leuten bei Turtle in den Hintern treten. Die Aussagen vom Pressesprecher der ESL sind überhaupt nicht nachvollziehbar und von einem professionellen PRler hätte ich mehr Hirn und Fingerspitzengefühl erwartet. Ich kann ja nachvollziehen, dass er mittlerweile etwas genervt davon ist, dass immer die Computerspiele die alleinigen Schuldigen bei Amokläufen sind, aber ein bisschen mehr Kompormissbereitschaft und Achtung vor den Opfern und ihren Angehörigen hätte sicher gut getan.
Update, 05.05.2009: Es gibt anscheinend doch noch Politiker, die sich vor Entscheidungen erst einmal informieren. Der Karlsruher OB Heinz Fenrich hat sich gegen den BW-Innenminister Heribert Rech (CDU) durchgesetzt und lässt das ESL-Turnier am 05.06.2009 stattfinden. Interessierte sind herzlich eingeladen.
Update: Oha, der Drops ist in Karlsruhe doch noch nicht gelutscht. Die CDU-Fraktion in Karlsruhe hat weiche Knie bekommen und ist vorm BW-Innenminister eingeknickt.
Update: Der Veranstalter Turtle gibt auf: Auch Karlsruhe wird abgesagt. Über das demokratische Verständnis der CDU zur Kündigung rechtsgültiger Verträge aufzurufen darf getrost gezweifelt werden. Dieses Jahr sind noch Europa-, Bundestags- und Kommunalwahlen, auch in Karlsruhe! Vielleicht zeigen die Karlsruher der CDU einmal wie Demokratie funktioniert. Mehr zur Absage in Karlsruhe.